Die Rhetorik in den Fabeln La Fontaines

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Claudia Wintoch

 

9101761

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Literaturwissenschaftliches Proseminar für Französisten II

SS 1995

Dr. S.Schreiber

 

Disposition :

 

 

1. Einleitung

 

 

2. Stilrichtungen

 

  2.1. possenhafte Stil

  2.2. heldenhaft-komische Stil

  2.3. einfache und wahrheitsgetreue Stil

  2.4. gemäßigte oder bescheidene Stil

  2.5. lyrische oder erhabene Stil

  2.6. andere Stile

 

 

3. rhetorische Figuren

 

  3.1. Tropen

  3.2. Wortfiguren

  3.3. Satzfiguren

  3.4. Gedankenfiguren

  3.5. Klangfiguren

 

 

4. Bibliographie

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1. Einleitung

 

Die Verwunderung der Zeitgenossen La Fontaines war groß, als sie sahen, daß der Dichter es schaffte, matte und verblichene traditionelle Lehrfabeln wieder zum Leben zu erwecken. La Fontaines Werk spricht durch tausend Sprachen. Nie langweilt sich der Leser, und erhalten die Kinder nicht immer eine moralische Lektion, so schafft es der Dichter doch immer sie zu bezaubern. Die vielseitigen komödischen Element entstehen dank der Kunst der Mimik des Dichters und seiner Tiere. Man geht von Göttern zu Menschen, von Menschen zu Tieren, Pflanzen, Steinen und abstraktesten Dingen, die einen bestimmten Wert annehmen. Nach Robert Sabatier löst sich alles

 

“dans cette unité qu’est le tempérament du poète. Car cet homme qui ne sut jamais se fixer, s’attacher, trouva dans ses poèmes narratives le genre qui lui convenait le mieux.“[1]

 

La Fontaines Fabeln weisen eine große Vielzahl an Mitteln auf. Einmal ist die Fabel eher wie ein kleines Theaterstück, einmal wie eine richtige Lehrfabel, einmal wie eine reine Erzählung, einmal wie eine philosophische Betrachtung. Seine Sprache ist

 

infiniment plus étendue et originale que celle des grands classiques[2], avec ses archaïsmes savoureux, ses mots techniques si évocateurs, ses termes populaires, ses proverbes.“[3]

 

 

La Fontaines Fabeln sind reich an verschiedenen Stilen, rhetorischen Figuren und metrischen Formen. Der Geniestreich des Dichters besteht darin, den freien Vers zu verwenden und einen sicheren Effekt durch die Kombination von Alexandrinern mit anderen Versformen zu erzielen.

Die größten Qualitäten seiner Dichtung, die keiner anderen gleicht, liegen in seiner „Diversité, concision, élégance, gaîté, humour“[4].

La Fontaine gelang es, mit seinen Fabeln die komplette Anerkennung und Zustimmung seiner Zeitgenossen zu erlangen.

2. Stilrichtungen

 

La Fontaine verwendet in seinen Fabeln vorwiegend fünf verschiedene Stile. Nach ihrer Bedeutung geordnet sind diese der possenhafte Stil (style burlesque), der heldenhaft-komische Stil (style héroï-comique), der einfache und wahrheitsgetreue Stil (style simple et réaliste), der gemäßigte oder bescheidene Stil (style tempéré) und der lyrische oder erhabene Stil (style lyrique et sublime).[5]

 

2.1. possenhafte Stil

 

Die Protagonisten werden so dargestellt, daß sie zum Lachen bringen. La Fontaine amüsiert sich dabei über tragische Ereignisse, wie zum Beispiel in Le Grenouille et le Rat (IV, 11)[6], wo der Geier die Ratte und den Frosch frißt :

 

       “L’oiseau se donne au cœur joie,

       Ayant de cette façon

       A souper chair et poisson.“[7]

 

La Fontaine vermischt auch gerne heidnische Religionen mit dem Christentum und macht sich darüber lustig, wie zum Beispiel in Phébus et Borée (VI, 3) oder Le Chartier embourbé (VI, 18), wo La Fontaine eine Person seines Jahrhunderts in die heidnische Antike versetzt.

 

2.2. heldenhaft-komische Stil

 

Der heldenhaft-komische Stil, der nach Bornecque von Boileau in Le Lutrin (1673-83) geschaffen wurde, ist das Gegenteil vom possenhaften Stil, denn er wächst übermäßig an gewöhnlichen Lebewesen und Ereignissen. La Fontaine verwendet einfache Lebewesen und Ereignisse und bezeichnet diese mit Ausdrücken und Namen, die in keinerlei Proportion zu ihnen stehen und übertrieben sind, sodaß sie einen komischen Effekt hervorrufen. So wird zum Beispiel für die Ameise in La Colombe et la Fourmi (II, 12) der Grashalm zum Vorgebirge, der Eseltreiber von L’Âne chargé d’Éponges, et l’Âne chargé de sel (II, 10) wird zum „empereur romain“, „son sceptre à la main“[8], für die Ratte von Le Rat et l’Huître (VIII, 9) wird der kleinste Maulwurfshügel zu den Apenninen.

Weiters wendet La Fontaine menschliche Bezeichnungen auf Tiere an, wie zum Beispiel in Le Grenouille et le Rat (IV, 11) „le gouvernement de la chose publique Aquatique“[9] oder in Le Rat qui s’est retiré du monde (VII, 3) „des députés du peuple rat“[10].

Außerdem verwendet er Bezeichnungen aus der Mythologie und Geschichte im Zusammenhang mit Tieren, die mit denselben in keinerlei Beziehung stehen, wie zum Beispiel in Les deux Coqs (VII, 13), wo eine „Hélène au beau plumage“[11] als Andeutung an Helene von Troja in Erscheinung tritt.

 

2.3. einfache und wahrheitsgetreue Stil

 

La Fontaine verwendet diesen Stil recht oft, indem er einfache Ausdrücke verwendet, die die Wirklichkeit sehr treffend beschreiben, wie zum Beispiel in La Colombe et la Fourmi (II, 12) : „un certain croquant qui marchoit les pieds nus“[12]. Die Bilder sind sehr lebendig. Wörter werden zusammengestellt, die einen amüsanten Eindruck schaffen, wie zum Beispiel in La jeune Veuve (VI, 21) : „Le père lui laissa digérer sa disgrâce.“[13]. La Fontaine verwendet auch viele Wörter, um die verschiedensten Bewegungen zu beschreiben, so kehrt zum Beispiel die Taube in Le deux Pigeons (IX, 2) langsam zurück, das heißt „traînant l’aile et tirant le pié“[14], oder der Hase von Le Lièvre et la Tortue (VI, 10), der „partit comme un trait“[15].

 

2.4. gemäßigte oder bescheidene Stil

Der gemäßigte oder bescheidene Stil ist mit einigen Verzierungen versehen und unterdrückt die wahrheitsgetreuen Ausdrücke der Bilder und schmückt die Bilderbeschreibung aus. Dadurch wird der allgemeine Ton der Fabel gehoben. So ist zum Beispiel der traurige Tod des Lion devenu vieux (III, 14) in einer unterhaltenden Weise, aber ohne Komik, erzählt, und endet mit dem schönen Vers „Mais c’est mourir deux fois que souffrir tes atteintes.“[16]. Genauso geschieht das bei Les deux Pigeons (IX, 2), die mit einer schönen Andacht über die Liebe enden, oder mit Le Songe d’un habitant du Mogol (XI, 4), das mit einem Anruf an die Einsamkeit endet.

 

2.5. lyrische oder erhabene Stil

 

La Fontaine versucht in dem Ausdruck von Gefühlen und Dingen Größe zu erreichen und beruft sich dabei auf die Lyrik. Er macht sich Gedanken über die Natur und die Vorsehung in L’Astrologue qui se laisse tomber dans un puits (II, 13), über die Welt in Le Meunier, son Fils et l’Âne (III, 1), über den Frieden in La Tête et la Queue du Serpent (VII, 17), den Tod in La Mort et le Mourant (VIII, 1) etc.. Nach Bornecque stellt die letzte Fabel, Le Juge arbitre, l’Hospitalier et le Solitaire (XII, 24), die Krönung dar, ganz im Stil einer „noblesse et d’une grandeur sublimes“[17].

 

2.6. andere Stile

 

La Fontaine verwendet auch den politischen Stil, wie zum Beispiel in Le Paysan du Danube (XI, 7), oder den epischen Stil, wie zum Beispiel in Le Fermier, le Chien et le Renard (XI, 3).

 

 

3. rhetorische Figuren[18]

 

La Fontaines Fabeln sind sehr reich an rhetorischen Figuren, die ihnen erst ihre Lebendigkeit und Frische verleihen.

3.1. Tropen

 

La Fontaines Fabeln leben von Bildern, vor allem der Personifikation von Tieren und Pflanzen, wie zum Beispiel die Taube und die Ameise in La Colombe et la Fourmi (II, 12) oder die Eiche und der Rosenstrauch in  Le Chêne et le Roseau (I, 22).

La Fontaine verwendet oft auch Antonomasien, vor allem, indem er Namen aus der antiken Mythologie übernimmt. Auch findet man in seinen Fabeln Metaphern und konventionelle Symbole bei der Bezeichnung von La Fontaines Protagonisten. So steht zum Beispiel der Löwe für Stärke, Mut und königliche Hoheit (zum Beispiel in Le Lion (XI, 1)) und der Fuchs für Schmeichelei und Schlauheit (zum Beispiel in Le Renard, le Singe et les Animaux (VI, 6)).

Auch findet man immer wieder Synekdochen, so zum Beispiel ein pars pro toto in Le Savetier et le Financier (VIII, 2) : “Chaque jour amène son pain.“[19], oder ein totem pro parte in Les Compagnons d’Ulysse (XII, 1) :

 

       “[...] où les Grecs,

       Imprudents et peu circonspects,

       S’abandonnèrent à des charmes [...]“[20]

 

 

3.2. Wortfiguren

 

 La Fontaine verwendet oft Hyperbeln, wenn er seine Protagonisten sprechen läßt, die mit ihrem übertreibenden Sprechen mit pathetischer Wirkung versuchen, einen bestimmten Effekt zu erzielen. Ein gutes Beispiel dafür ist der Fuchs in Le Corbeau et le Renard (I, 2), der versucht, den Raben zu überlisten :

           

         “«Hé ! bonjour, Monsieur du Corbeau.

         Que vous êtes joli ! que vous me semblez beau !

        Sans mentir, si votre ramage

        Se rapporte à votre plumage,

         Vous êtes le phénix des hôtes de ces bois.»“[21]

 

Eine weitere Wortfigur, die La Fontaine gerne verwendet, ist der Litotes. Ein Beispiel dafür finden wir in Le Meunier, son Fils et l’Âne (III, 1) : “ [...] l’autre enfant, non pas des plus petits“[22].

 

3.3 Satzfiguren

 

La Fontaines Fabeln sind auch reich an Satzfiguren. Einige Beispiele für Asyndeta, Ellipsen und Parataxen sollen hier folgen. Ein Asyndeton finden wir zum Beispiel in L’Homme et son Image (I, 11) :

          “Miroirs dans les logis, miroirs chez les marchands,

          Miroirs aus poches des galands,

          Miroirs aux ceintures des femmes.“[23]

 

oder in Le Loup plaidant contre le Renard par-devant le Singe (II, 3) : „Répliqué, crié, tempêté“[24], oder in der Fabel Le Meunier, son Fils et l’Âne (III, 1), die besonders reich an Asyndeta ist :

 

          “ [...] mon bien, mon talent, ma naissance

          [...] allez, venez, courez

          [...] femme, abbaye, emploi, gouvernement [...]“[25]

 

In der letzten Zeile dieses Zitats können wir auch eine Klimax erkennen.

Ein Beispiel für eine Ellipse finden wir in L’Homme et son Image (I, 11) : “Mais quoi ?“[26] oder in Le Loup et le Chien (I, 5) : “Car quoi ?“[27].

Beispiele für Parataxen finden wir in Les deux Mulets (I, 4) : “il gémit, il soupire“[28] oder in Le Meunier, son Fils et l’Âne (III, 1) : “Je suis âne, il est vrai, j’en conviens, je l’avoue [...] on me blâme, on me loue“[29].

 

 

3.4. Gedankenfiguren

 

Beispiele für die rhetorische Frage finden wir in La Mort et le Malheureux (I, 15) : “Que vois-je ?“[30], in Les deux Mulets (I, 4) : “Est-ce donc là [...] ce qu’on m’avoit promis ?“[31] oder in La Mort et le Bûcheron (I, 16) : “Quel plaisir a-t-il eu depuis qu’il est au monde ?“[32].

La Fontaine wendet sich auch immer wieder an seine Leser, indem er Apostrophen  verwendet, wie zum Beispiel in Le Meunier, son Fils et l’Âne (III, 1) : “Je t’en veux dire [...]“[33].

 

3.5. Klangfiguren

 

La Fontaine verwendet oft Anaphern. Beispiele dafür finden wir in L’Homme et son Image (I, 11) :

 

      “Miroirs dans les logis, miroirs chez les marchands,

      Miroirs aus poches des galands,

       Miroirs aux ceintures des femmes.“[34]

 

oder in La Grenouille qui se veut faire aussi grosse que le bœuf  (I, 3) :

 

          “Tout bourgeois veut bâtir comme les grans seigneurs,

          tout petit prince a des ambassadeurs,

          tout marquis veut avoir des pages.“[35]

 

oder in Le Loup et le Chien (I, 5) : “Os de poulets, os de pigeons“[36], oder in Le Lion (XI, 1) :

 

          “Force bœufs dans ses prés, force cerfs dans ses bois,

          Force moutons parmi la plaine.“[37]

4. Bibliographie

 

Bornecque, Pierre, La Fontaine. Fables, Hatier : Paris 1979

La Fontaine, Jean de, Fables, Presses Pocket 1989

Orieux, Jean, La Fontaine, Flammarion 1976

Puzin, Claude, Littérature. Textes et Documents. XVIIe siècle, Nathan 1987

Sabatier, Robert, Histoire de la poésie française. La poésie du XVIIe siècle, Albin Michel :   Paris 1975

 

 



[1]   Sabatier, Robert, Histoire de la poésie française. La poésie du XVIIe siècle, Albin Michel : Paris 1975, 237

[2]  Hervorhebung des Verfassers

[3]  Puzin, Claude, Littérature. Textes et Documents. XVIIe siècle, Nathan 1987, 365

[4]  ibidem

[5]  nach Bornecque, Pierre, La Fontaine. Fables, Hatier : Paris 1979, 56 ff

[6]  Die römische Ziffer bezeichnet im folgenden immer das Buch und die arabische Ziffer die jeweilige Fabel   

darin.

[7]  La Fontaine, Jean de, Fables, Presses Pocket 1989, 136

[8]  ibidem, 86

[9]  ibidem, 135

[10] ibidem, 203

[11] ibidem, 216

[12] ibidem, 88

[13] ibidem, 194

[14] ibidem, 275

[15] ibidem, 184

[16] ibidem, 115

[17] Bornecque, Pierre, La Fontaine. Fables, Hatier : Paris 1979, 58

[18] Dieses Kapitel beruht vorwiegend auf eigenen Überlegungen.

[19] La Fontaine, Jean de, Fables, Presses Pocket 1989, 231

[20] ibidem, 349 f

[21] ibidem, 54

[22] ibidem, 102

[23] ibidem, 63

[24] ibidem , 80

[25] ibidem, 101 ff

[26] ibidem, 63

[27] ibidem, 56

[28] ibidem, 55

[29] ibidem, 103

[30] ibidem, 67

[31] ibidem, 55

[32] ibidem, 68

[33] ibidem, 101

[34] ibidem, 63

[35] ibidem, 55

[36] ibidem, 56

[37] ibidem, 331